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Ruhendes Arbeitsverhältnis und Urlaubsanspruch

9 AZR 678/12

3. Das Unionsrecht fordert keine Reduzierung des Urlaubsanspruchs, wenn ein Arbeitsverhältnis ruht. Zwar geht der Europäische Gerichtshof (EuGH) bei Angestellten, deren gegenseitige Hauptleistungspflichten infolge von Kurzarbeit ausgesetzt oder aufgehoben wurden, davon aus, dass ihre Situation faktisch der von Teilzeitkräften entspricht (EuGH 8. November 2012 - C-229/11 und C-230/11 - [Heimann und Toltschin] Rn. 32). Die Auslegung des Art. 31 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta sowie des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (im Weiteren: Arbeitszeitrichtlinie) durch den EuGH lässt zu, dass diese nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten, nach denen der Anspruch eines Arbeitnehmers in Kurzarbeit auf bezahlten Jahresurlaub pro rata temporis berechnet wird, nicht widersprechen. Dennoch ergibt sich daraus nicht zwingend die Notwendigkeit, den Jahresurlaub nach deutschem Urlaubsrecht bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis zu kürzen (Bayreuther DB 2012, 2748, 2749; Plüm NZA 2013, 11, 17; Powietzka/Christ NZA 2013, 18, 21). Vielmehr beinhaltet die Arbeitszeitrichtlinie gemäß Art. 1 Abs. 1 lediglich Mindestbestimmungen (EuGH 3. Mai 2012 - C-337/10 - [Neidel] Rn. 35). Nach Art. 15 der Arbeitszeitrichtlinie bleibt das Recht der Mitgliedstaaten, für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer vorteilhaftere Rechts- und Verwaltungsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen, ausdrücklich unberührt. Zwar darf die Anwendung einer solchen Bestimmung einer Richtlinie nach neuerer Rechtsprechung des EuGH den Wesenskern der unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers nicht beeinträchtigen (vgl. zu Art. 8 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei der Übertragung von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen: EuGH 18. Juli 2013 - C-426/11 - [Alemo-Herron ua.] Rn. 36). Jedoch wird durch die Entstehung von Urlaubsansprüchen ohne Arbeitsleistung im Bezugszeitraum der Wesenskern der unternehmerischen Freiheit nicht verletzt. Dies ist aus der Rechtsprechung des EuGH ableitbar. Demzufolge ist die Arbeitszeitrichtlinie so zu interpretieren, dass sie es den Mitgliedstaaten untersagt, den allen Arbeitnehmern gewährten Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einseitig zu beschneiden, indem sie eine Bedingung für diesen Anspruch aufstellt, die bestimmte Arbeitnehmer davon ausschließt (EuGH 26. Juni 2001 - C-173/99 - [BECTU] Rn. 52, Slg. 2001, I-4881). Gemäß dieser Rechtsprechung steht es den Mitgliedstaaten zwar frei, in ihren nationalen Gesetzen die Voraussetzungen für die Geltendmachung und Ausübung dieses Anspruchs zu regeln, doch dürfen sie die Entstehung des Anspruchs selbst nicht von irgendeiner Bedingung abhängig machen (EuGH 24. Januar 2012 - C-282/10 - [Dominguez] Rn. 18 mwN). Vor diesem Hintergrund ist es unionsrechtlich unproblematisch, wenn das deutsche Recht auch bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis infolge vereinbarten unbezahlten Urlaubs die Entstehung von Urlaubsansprüchen gestattet.